Ellbogen ade!
Waren vor einigen Jahren noch die Extrovertierten mit der Ellbogentaktik des Sich-in-den-Vordergrund-Drängens auf den Karriereleitern weit oben zu finden, sind heute andere, subtilere Verhaltensweisen gefragt. Teamleader und Personalmanager setzen heute auf die leisen Töne. Denn gerade introvertierte Mitarbeiter sehen sie als großes Potential für die zukünftige Geschäftswelt. Auch aktuelle Bücher zeigen das, so beschreiben zum Beispiel „The Quiet Revolution“ von Susan Cain und „The power of the introverts“ die Entwicklung des Persönlichkeitsspektrums der vergangenen Jahrhunderte bis zur heutigen Zeit im breiten Feld zwischen intro- und extrovertiert.
Nichts ist nur schwarz oder nur weiß, die Welt hat viele Zwischentöne und auch wir Menschen verfügen über ein breites Spektrum an Persönlichkeitsausprägungen und sind mal so und mal anders. Selbst Carl Jung, Vater der analytischen Psychologie, der die Begriffe intro- und extrovertiert prägte, betonte, dass es so etwas wie einen reinen Introvertierten oder Extrovertierten nicht gäbe und wenn ja, würde ein solcher Mensch ruck-zuck in der Irrenanstalt landen.
Einige Menschen gelten als ambivertiert, also in der Mitte des introvertiert-extrovertiert-Spektrums. Sie tragen beide Seiten in sich und das ist gut so: denn wir brauchen mehr Ausgewogenheit, wir brauchen sowohl Yin wie Yang in uns.
Besonders wichtig ist dies, wenn es um Produktivität und Kreativität geht. In diesen Bereichen finden wir sehr oft Menschen, die Ideen austauschen und vorantreiben können, also extrovertierte Züge tragen, gleichzeitig aber auch deutlich introvertierte Eigenschaften aufweisen. Das Nutzen vom Alleinsein ist häufig eine herausragende Fähigkeit von kreativen Menschen.
Darwin zum Beispiel machte alleine lange Spaziergänge durch den Wald und lehnte Einladungen zu Dinnerpartys nachdrücklich ab. Steve Wozniak erfand den ersten Apple-Computer als er allein in seiner Schreibtischecke bei Hewlett-Packard saß, wo er damals arbeitete. Und er betont, dass er niemals so ein Experte geworden wäre, wenn er nicht schon in der Jugend derartig introvertiert gewesen wäre und zu in sich gekehrt, um das Haus zu verlassen.
Freilich heißt das nicht, das wir immer alleine in der Stube hocken müssten und mit niemandem Kontakt haben dürften. Erst das Aufeinandertreffen von Steve Wozniak mit Steve Jobs führte dann zur Gründung der Weltfirma Apple! Alleine sein und zusammenarbeiten – beides ist vonnöten, wenn wir Spitzenleistungen erbringen wollen.
Für manche ist Einsamkeit die Luft zum Atmen. Tatsächlich wissen wir seit Jahrhunderten, dass wir Menschen auch die Zeit des Alleinseins brauchen, um Kraft zu sammeln und wieder zu uns selbst zu finden. Anderseits wird das oft nicht toleriert. Das beginnt schon in der Kindheit. Viele Kinder, die eher zurückhaltend sind, still und in sich gekehrt, hören von Eltern und Erziehern, das wäre falsch, sie sollten sich doch endlich öffnen, denn nur Extrovertiertheit wäre das Wahre.
Was Wunder, wenn solche Kinder sich als fremdartige Wesen fühlen und ganz instinktiv, im Unbewussten, selbstverneinende Prägungen entwickeln. Dadurch leiden die Betroffenen auch im Erwachsenenalter und gleichzeitig ist es ein Verlust für Kollegen, Team und Unternehmen, ein Verlust für die Gesellschaft. Gerade wenn es um Kreativität und Führungsverhalten geht, brauchen wir sie, diese Introvertierten, die genau das tun, was sie am besten können.
Ein Drittel bis zur Hälfte der Bevölkerung gilt als introvertiert. Das ist immerhin einer von zwei oder drei Ihrer Bekannten! Und, ob wir wollen oder nicht, sie alle unterliegen einer traditionellen Voreingenommenheit, die seit vielen Jahren tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Denn als Teil einer Gruppe imitieren wir instinktiv die Meinung der anderen. Und so galt in unserem Kulturkreis der Vorzug meist dem Mann der Tat und nicht dem Mann der Betrachtung.
Doch heute ist das anders, immer mehr Führungskräfte erkennen, wie wichtig und Gewinn bringend introvertierte Persönlichkeitsstrukturen für das ganze Unternehmen sind. Und je mehr Freiheit sie den Introvertierten geben, desto wahrscheinlicher werden diese ihre einzigartigen, eigenen Lösungen finden. Stoppen wir also den Wahnsinn der ständigen, allumfassenden Gruppenarbeit, geben wir Raum für Introvertiertheit, für Rückzug, Ruhe und Alleinsein!
Was ist denn nun Introvertiertheit genau? Sie unterscheidet sich von Schüchternheit: der Schüchterne hat Angst vor gesellschaftlichem Urteil. Bei der Introvertiertheit geht es darum, wie wir auf Stimulation reagieren, das beinhaltet auch gesellschaftliche Stimulation. Extrovertierte sehnen sich nach viel Stimulation, Introvertierte fühlen sich jedoch am lebendigsten, am aktivsten und am fähigsten in einer ruhigeren gemäßigteren Umgebung. Nicht ausschließlich, nicht immer, aber doch ziemlich oft.
Leider sind unsere wichtigsten Einrichtungen, Schulen und Arbeitsplätze hauptsächlich von Extrovertierten für Extrovertierte entworfen. Im Klassenzimmer sitzen die Kinder in Tischgruppen zu vier, fünf, sechs oder sieben Kinder und sehen sich an, machen Gruppenaufgaben. Sogar in Fächern wie Mathematik und Schreiben, bei denen man alleiniges Denken für den Schlüssel halten könnte, werden die Schüler in „Ausschüsse“ verdonnert. Und jene Kinder, die gerne für sich selbst sind und gern allein arbeiten, werden oft als Sonderfälle eingestuft oder gar als Problemschüler. Viele Lehrer glauben, dass der ideale Schüler extrovertiert sein sollte. Obwohl der introvertierte Schüler meist bessere Noten bekommt und über mehr Wissen verfügt, so die Forschung.
Genauso läuft es am Arbeitsplatz. Großraumbüros, ohne Wände, konstant Blicken und Geräusche der Kollegen – nicht gerade ideal für die Introvertierten mit ihrem Bedürfnis nach Rückzug.
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Bild: Introvertiert heißt nicht schüchtern!
Foto: Schnappschuss bei einem TELOS-Training
Geht es um Führungspositionen, werden die introvertierten eher übergangen, obwohl sie laut Forschung mehr zur Vorsicht neigen und seltener unüberschaubare Risiken auf sich nehmen. Dabei zeigt eine Interessante Studie von Adam Grant an der Wharton School, dass introvertierte Führungspersönlichkeiten in der Regel bessere Resultate liefern als extrovertierte. Angestellten mit Eigeninitiative lassen sie eher ihren eigenen Ideen nachgehen. Extrovertierte hingegen können sich für Gedanken dermaßen begeistern, dass sie die Ideen anderer eher unterdrücken, oft auch ganz unbewusst.
Beispiele gefällig von eher introvertierten Führungspersönlichkeiten? Eleanor Rosevelt, Rosa Parks, Gandhi beschreiben sich als sanft, leise und eher etwas schüchtern. Und obwohl ihr Körper mit jeder Faser sagte, es nicht zu tun, traten sie ins Rampenlicht. Dem wohnt eine eigene Kraft inne. Denn die Menschen spüren, dass diese Anführer nicht deshalb am Steuer sind, weil es ihnen um Macht geht, sondern weil es ihnen wichtig ist, das zu tun, was sie für richtig halten.
Diese Introvertierten, mit ihren sich nicht in den Vordergrund drängenden, nicht so lauten, doch wohldurchdachten Äußerungen – im Team der Zukunft sind sie diejenigen, die agieren und im Konfliktfall auch mal Kompromisse eingehen. Sie sind diejenigen, denen es gelingt, mit ihrer freundlichen und höflichen Art andere mit zu reißen und für ihre Themen zu begeistern. Sie sind diejenigen, die Unternehmen und Organisationen tatsächlich zum Erfolg führen!
Kontaktieren Sie uns einfach, alles Weitere besprechen wir dann persönlich – kostenlos, unverbindlich und diskret!
Mag. Magdalena Gasser
Institutsleitung, Personalentwicklung, Coaching